
Die Phänomene "Bullying" und "sexuelle Viktimisierung" sind nicht mehr auf das physische Umfeld begrenzt. Formen verbaler Gewalt, sozialer Manipulation und sexueller Aggression spielen auch in Internet- Chatrooms eine bedeutende Rolle. Mehrere Fragenkomplexe standen im Mittelpunkt der vorliegenden Studie: 1. Welche Formen von Bullying und sexueller Aggression treten in Internet-Chatrooms auf? 2. Wer wird in Internet-Chatrooms zu Tätern und zu Opfern von Bullying? Wer wird zu Opfern von sexueller Viktimisierung? 3. Welche Prädiktoren bzw. Risikofaktoren können für Bullying-Verhalten, Viktimisierung durch Bullying und sexuelle Viktimsierung in Internet- Chatrooms festgestellt werden? 1.700 Schüler verschiedener weiterführender Schulen aus Nordrhein- Westfalen nahmen an einer quantitativen Befragung teil. Erfasst wurden neben aktivem und passivem Bullying in Internet-Chatrooms und in der Schule auch sexuelle Viktimisierungen in Internet-Chatrooms sowie Aspekte des Selbstkonzepts, des Familien- und Erziehungsklimas, der Schulsituation, Delinquenz, Gewalteinstellung, Internet- und Chatnutzung und dissoziales Verhalten im Internet. Bezüglich Bullying zeigt die Studie einen positiven Zusammenhang zwischen der Täterschaft in der Schule und der Täterschaft in Internet- Chatrooms sowie der Viktimisierung in der Schule und der Viktimisierung in Internet-Chatrooms. Die Prädiktoren für Bullyingverhalten (Schulbullying und Chatbullying) weisen überwiegend Gemeinsamkeiten auf. Bei den Prädiktoren für Viktimisierungen in der Schule und Viktimisierungen in Internet- Chatrooms zeigten sich demgegenüber Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede. Bezüglich sexueller Viktimisierung in Internet-Chatrooms zeigte sich eine deutlich stärkere Betroffenheit von Mädchen. Auch konnte zwischen leichten (z.B. nach Aussehen des Körpers gefragt werden) und schweren sexuellen Viktimisierungen (z.B. zu sexuellen Handlungen vor Webcam aufgefordert werden) unterschieden werden. Die Ergebnisse zeigen insgesamt deutliche Prävalenzraten für die Formen leichter Viktimisierungen und schwerer Viktimisierungen in Internet-Chatrooms. Als Risikofaktoren schwerer Viktimisierungen erwiesen sich insbesondere häufige Besuche in Porno-, Rechtsradikalen- und Prügelchatrooms sowie Spaß an Sexuellen Gesprächen in Internet-Chatrooms. Des Weiteren konnte eine Typologie viktimisierter Chatterinnen erstellt werden. Diese zeigt: Rund 1/3 der viktimisierten Mädchen sind von den Erlebnissen stark emotional belastet. Allerdings weisen diese stark belasteten Chatterinnen die geringste Anzahl von sexuellen Viktimisierungen insgesamt auf. Die Gruppe der am häufigsten, gerade auch schwer viktimisierten Mädchen, zeigte sich von den Erlebnissen dagegen kaum belastet. Insgesamt zeigt die vorliegende Studie, dass durch neue Kommunikationstechnologien auch neue Tatorte für bisher unbekannte Formen von Bullying, Gewalt und sexueller Aggression entstehen. Die zukünftige Aggressions- und Medienforschung sollte, auch im Hinblick auf Präventions- und Interventionsarbeit, diese Thematik stärker miteinbeziehen.